Aiwangers antisemitisches Flugblatt: Eine „Jugendsünde“ des CSU-Politikers?
Ein 36 Jahre altes Stück Papier, bedruckt mit schwarzer Tinte, geschrieben mit einer Schreibmaschine. Die Überschrift: “BUNDESWETTBEWERB: Wer ist der größte Vaterlandsverräter?” Dieses Flugblatt erschütterte vor einigen Wochen die deutschen Medien und den Wahlkampf der Partei “Freie Wähler“. Denn besagtes Stück Papier wurde 1987 in der Schultasche des damals 16-jährigen Hubert Aiwanger gefunden. Damals gab es für ihn keine großen Konsequenzen, doch heute ist der 52-jährige nicht nur stellvertretender Ministerpräsident Bayerns und diesjähriger Landtagswahlkandidat für die Position des bayrischen Ministerpräsidenten, sondern auch der Mittelpunkt einer gewaltigen Debatte über Wahlbeeinflussung durch Medien, Antisemitismus und Jugendsünden.
Aber wer ist Aiwanger? Kann man ihm glauben, wenn er die Vorwürfe öffentlich leugnet? Wie erzählt er die Geschichte?
Aiwanger wurde 1971 geboren und wuchs in Rahstorf, einer kleinen Gemeinde in Niederbayern, auf. Er besuchte das Burkhart-Gymnasium und absolvierte nach seinem Abitur den Grundwehrdienst. Danach studierte er vier Jahre lang Landwirtschaft zum Diplom-Agraringenieur und begann, auf dem Hof seiner Eltern zu arbeiten. 2001 schloss er sich der liberal-konservativen Partei “Freie Wähler” an, von der er 2006 zum Vorsitzenden des Landesverbandes gewählt wurde. Nur zwei Jahre später wurde er dann zum Fraktionsvorsitzenden gewählt und 2018 schließlich zum stellvertretenden Ministerpräsidenten Bayerns. Und wie jede gute politische Karriere ging auch seine mit einigen Skandalen einher: so veröffentlichte er zum Beispiel bei der Kanzlerwahl 2021 noch vor Schließung der Wahllokale geheime Ergebnisse und forderte dazu auf, seine Partei zu wählen. Während der Pandemie warnte er öffentlich vor der Impfung als “Bestrafung von politisch unerwünschtem Verhalten” und vor unangenehmen Impfnebenwirkungen. Und jetzt natürlich sein bekanntester Skandal: die Flugblattaffäre.
Am 25. August rückte Aiwanger durch einen in der Süddeutschen Zeitung veröffentlichten Artikel ins Rampenlicht der deutschen Presse. Der Artikel sprach von einem antisemitischen Flugblatt, das etwas mehr als drei Jahrzehnte zuvor in Aiwangers Schultasche gefunden worden war.
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Ungefähr 24 Stunden nach Veröffentlichung der Anschuldigungen gab Aiwanger sein Statement an die Presse. Die Vorwürfe haben ihn erschrocken, erklärte er. “Ich kann mich nicht erinnern, jemals einen Hitlergruß gezeigt zu haben, ich habe keine Hitlerreden vor dem Spiegel einstudiert.” Er habe das Flugblatt nicht verfasst und fände den Inhalt menschenverachtend. Später bestätigte er jedoch, dass Exemplare in seiner Schultasche gefunden worden waren. Daraufhin habe es eine Einbestellung beim Direktor gegeben und als Strafe habe er ein Referat über den Nationalsozialismus halten müssen.
Wenige Tage später schickte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder Aiwanger einen Katalog mit 25 Fragen, die letzterer zu beantworten hatte. Viele der Fragen beantwortete Aiwanger jedoch einfach nur damit, dass die Ereignisse bereits zu lange her seien, um sich an Details zu erinnern. Auf die Frage, warum sich die Flugblätter in seiner Tasche befunden hatten, antwortete er: “Laut Aussagen meines Bruders glaubt er, dass ich die Flugblätter eingesammelt habe, um zu deeskalieren.” Denn sowohl Aiwanger als auch sein Bruder Helmut haben öffentlich ausgesagt, dass das Flugblatt aus Helmuts Feder stammt (der übrigens ein Waffengeschäft betreibt). Er habe es aus Protest gegen einige linke Lehrer verfasst, die ihn damit aufgezogen hätten, dass er Bauernsohn und somit Tierquäler sei. Von welchem Aiwanger das Flugblatt nun stammt, weiß man momentan also nicht. Aber ‚mal ganz am Rande, die Frage “Warum ist der Verdacht damals auf sie gefallen?” mit “Das entzieht sich meiner Kenntnis” zu beantworten statt mit “Die Flugblätter wurden nun ‚mal in meiner Schultasche gefunden”, ist auch eine sehr interessante Entscheidung.
Lässt man das Flugblatt einmal beiseite, gibt es noch weitere Anschuldigungen bezüglich diverser menschenverachtender Witze aus Aiwangers Jugendzeiten. Mario Bauer, ein ehemaliger Mitschüler, berichtete im ARD-Politikmagazin “report München”, Aiwanger habe gerne mal spaßeshalber Hitlerreden imitiert, den Hitlergruß gezeigt oder Witze über das Konzentrationslager Auschwitz gemacht. Ein weiterer ehemaliger Mitschüler berichtete von einem judenfeindlichen Witz beim Besuch einer Gedenkstätte. Zu diesen Anschuldigungen äußerte sich Aiwanger: “Weitere Vorwürfe, wie menschenfeindliche Witze, kann ich aus meiner Erinnerung weder dementieren noch bestätigen. Sollte dies geschehen sein, so entschuldige ich mich dafür in aller Form.” Jedoch gibt es auch Aussagen von Ex-Schulkameraden, die ein ganz anderes Bild von Aiwanger zeichnen. So berichtet Christian Augsburger, der Aiwanger bei einem Praktikum kennenlernte, er habe ihn während dieser Zeit als “ruhigen und korrekten Mitschüler” erlebt.
In seinem ersten Statement befand Aiwanger die Vorwürfe als gezielten Angriff gegen ihn und auch seine Partei. “Es ist jedoch nicht akzeptabel, dass diese Verfehlungen jetzt in einer politischen Kampagne gegen mich und meine Partei instrumentalisiert werden. Ich habe den Eindruck, ich soll politisch und persönlich fertiggemacht werden.” Aiwanger steckt momentan mitten im Wahlkampf zum Ministerpräsidenten von Bayern und sieht durch die Vorwürfe den fairen Wettkampf beeinträchtigt.
Aber was hätte die Süddeutsche Zeitung seiner Meinung nach tun sollen, zwei Monate warten? Der Skandal und die Empörung wären nicht minder heftig ausgefallen.
Ob Aiwanger wegen des Skandals Stimmen verlieren wird, bleibt abzuwarten. Sein Image ist gerade auf jeden Fall mindestens so bröselig wie Zwieback und das Vertrauen seiner Wähler in ihn wird er mit dem Skandal auch nicht gerade gestärkt haben.
von Lilly Altfeld, 9a
Anmerkung: Wir haben uns entschieden, das Flugblatt nicht abzudrucken bzw. zu verlinken. Wer dazu recherchieren möchte, findet es unter den entsprechenden Suchbegriffen im Netz.