„Ich bin es so leid!“
Eine Theaterempfehlung zu „Phädra in Flammen“ am Schauspiel Frankfurt
Ich bin es so leid. Der erste Satz, den Phädra auf der Bühne spricht, die ersten gesprochenen Worte, kommend von einer Frau. Fünf Worte, die nicht bedeutungslos bleiben und die besonders Frauen im Publikum das Gefühl von einem schmerzenden Herzen bescheren. Zwei Stunden umfasst die Aufführung und nicht – wie sonst so oft – wandert der Blick unauffällig zur Armbanduhr, um die bereits vergangene Zeit zu prüfen. Wie gebannt ruhen die Augen auf den Schauspieler*innen, auf dem raffinierten und surrealistischen Bühnenbild. Die verbitterten, gepressten Worte von Phädra sind wie ein Schlag in die Magengrube, Schläge, die nicht unbekannt sind.
„Phädra, in Flammen“ ist das neue Stück der Dramatikerin Nino Haratischwili, basierend auf dem griechischen Mythos „Phädra“. Es ist die faszinierende Mischung aus Tradition und Moderne, die Welt des alten Athen, in der nicht wenige Parallelen zu unserer Gesellschaft zu finden sind. Im Mittelpunkt steht Phädra, die Frau. Eine betrogene Frau, die sich und ihre Träume hinten anstellen musste und sich dabei fast aufgegeben hat. Eine Frau, die nicht gehört wird, nicht gesehen wird. Eine Frau, die unterschätzt und auf den Stereotyp reduziert wird. Eine Frau, die es satt hat. Unglaublich berührend und frustrierend zugleich ist diese Darstellung, weil man (besonders) als Frau ihre Wut und die gleichzeitige Müdigkeit so gut nachvollziehen kann. Phädras Leid und ihr Verlust, von ihrem Ehemann Theseus zugefügt, wird deutlich sichtbar dargestellt. Theseus, der ihr nicht einmal an der Schwelle seines Bewusstseins Phädras wirkliches Verlangen und ihre Bedürfnisse erkennt. So wenig sich die Figuren noch selbst erkennen, so sehr vermag es der Regisseur Max Lindemann den Text und die Figuren greifbar zu machen. Sei es der Erstgeborene Demophon, die Verlobte Persea oder der Priester, alle Figuren erhalten so viel Tiefe, dass man sie und ihre Haltung verstehen kann, ja, sie sogar Mitgefühl im Zuschauer hervorruft. Beeindruckend gelingt es den Schauspieler*innen, scheinbar klare Opfer- und Täterrollen so multiperspektivisch darzustellen, dass diese vermeintlich einseitige Sicht zum Wackeln gebracht wird.
„Phädra, in Flammen“ ist ein Stück, wie Theater sein soll. Es reißt mit, es berührt, es stellt Bezüge her, es kritisiert immer noch bestehende Missstände in unserer Gesellschaft, es stellt Fragen und erzeugt Fragen und es hat Wirkung. Man verlässt „Phädra“ nicht mit fertigen Antworten und klar geordneten Emotionen – das Stück klingt nach. Und am wichtigsten, es zeigt Menschen und ihre Geschichten in vielen Facetten, in denen wir uns wiedererkennen können.
Die Produktion ist ein Erfolg, ein Stück Kunst, das fordert und gedanklich voranbringt. „Phädra, in Flammen“ ist kein leichtes Vergnügungsprogramm, in dem alle Antworten bereits mundgerecht präsentiert werden; das ist auch nicht der Sinn von Theater. Gerade ohne das Vorwissen über den griechischen Mythos „Phädra“ ist das Stück nicht einfach zu fassen und auch die Intensität und Fülle an Bedeutung und Hinweisen im Text bedürfen der Konzentration des Publikums. Und trotz der zweistündigen Aufführung ohne Pause fesselt die Inszenierung, ohne dass die Lust am Teilhaben verloren geht. Und so verlässt man die Kammerspiele mit einem Rucksack voller Eindrücke, Fragen und Inspirationen und einem Herzen und Kopf, die jetzt ein wenig verändert aufs Leben schauen.
Das Stück wird 2024 noch einige Male im Schauspiel Frankfurt aufgeführt. Ein Besuch lohnt sich! www.schauspielfrankfurt.de
von Johanna Willems, Q2