Wie die „Clean Girls“ unser Selbstbewusstsein zerstören
Die „Clean Girl Aesthetic“ startete 2022 als einfacher Make-up-Trend, bei dem sich alles um einen möglichst natürlichen Look dreht. Doch mittlerweile ist das Ganze ziemlich problematisch geworden. Hier erkläre ich, wie ich zu dem Schluss gekommen bin.
Zunächst eine Erklärung des Begriffes. Was genau ist ein „Clean Girl“? Der Begriff wird dadurch definiert, dass das gesamte Aussehen, die Wohnung und prinzipiell das gesamte Leben makellos und sauber sind. Das Make-up ist darauf ausgerichtet, so auszusehen, wie als würde man gar keines tragen und trotzdem perfekt wirken. Die Outfits sind schlicht und liegen dennoch im Trend; die Wohnung ist immer aufgeräumt. Das typische „Clean Girl“ auf Instagram teilt häufig Morgenroutinen, bei denen hauptsächlich der gesunde Lebensstil betont wird. Zuerst wurde mit dem Begriff „Clean Girl“ tatsächlich nur das Aussehen beschrieben, jetzt hat es sich als Bezeichnung für den gesamten Lifestyle einer Person etabliert.
Zunächst klingt das Beschriebene erst einmal ziemlich perfekt und an diesem Lebensstil, der sich durch Skin Care, Work-outs und gesunde Ernährung auszeichnen soll, ist auch definitiv nichts auszusetzen.
Nicht soan der multiedialen Darstellung der „Clean Girl Aesthetic“ und der dabei fehlenden Diversität. Zum Beispiel haben andere Körperformen, als der schlanke, durchtrainierte Modellkörper, keinen Platz in diesem Trend. Ein übergewichtiges „Clean Girl“ hat man noch nie gesehen und Marken wie Brandy Melville sorgen dafür, dass dies auch so bleibt. Brandy Melville ist eine der gefragtesten Marken für „Clean Girls“ und dort gibt es definitiv schöne Klamotten, jedoch immer nur in einer Größe. Bei Oberteilen ist dies größtenteils XS/S, bei Hosen meistens S/M. Das ist meiner Meinung nach ein sehr aussagekräftiges Beispiel für die Schattenseiten des Trends.
Weiterhin ist es meiner Meinung nach der Name an sich problematisch, denn reicht nicht diese ständige Zurschaustellung von Perfektion bereits, mit der man sich im Internet durch diesen Trend konfrontiert sieht, um ein Minderwertigkeitsgefühl zu entwickeln? Muss man auch noch durch die Bezeichnung „Clean Girl“ vermitteln, dass das Gegenteil beziehungsweise Abweichungen im Lebensstil einen Menschen quasi „dirty“ machen? Denn der Begriff des „Clean Girl“ impliziert schließlich, dass es ein Gegenteil geben muss und dieses wäre dann als „Dirty Girl“ zu bezeichnen. Und das möchte man natürlich auf keinen Fall sein. Also verzehren sich junge Mädchen geradezu danach, „so“ zu werden, wie die „Clean Girls“. Doch das ist nicht so einfach, wie es im Internet aussieht. Denn immer perfekt auszusehen, nur grüne Smoothies zu trinken und jeden Tag Pilates zu machen, ist praktisch unmöglich und selbst die Influencer, die jeden Post von einem Salat oder einem Spiegelselfie mit dem Hashtag „Clean Girl“ versehen, können das nicht tagtäglich durchhalten.
Doch diese Seite wird nur in den seltensten Fällen gezeigt. Stattdessen ist meine „For You“, genau wie wahrscheinlich viele andere, voll mit „Clean Girls“, die mir Ratschläge geben wollen, wie ich so wie sie werden kann: indem ich täglich Tagebuch schreibe, Sport mache, auf Zucker verzichte und diese oder jene Marke kaufe. Die psychischen Auswirkungen, die solche Videos auf die Leser*innen haben können, gerade wenn diese junge Mädchen in der Findungsphase sind, werden komplett missachtet.
Der „Clean Girl“- Trend trägt meines Erachtens genau dazu bei, was er vermeintlich verhindern will: Er verunsichert junge, heranwachsende Jugendliche, weil er ihnen vermittelt, dass sie die volle Kontrolle über eine positive Außenwirkung erlangen können. Man sollte nie vergessen, dass es den Influencer*innen und den Mode- und Kosmetikkonzernen im Netz letztlich immer um ihren Profit geht: Sie verdienen Geld damit, wenn sie uns vermitteln, mit Hilfe welcher Lifestyle-Regeln, Mode- oder Kosmetikartikel wir zu dem „perfekten Mädchen“ werden. Was sie uns nicht sagen, ist, dass wir gut so sind, wie wir sind, dass jeder Mensch seine eigene Schönheit hat. Und je mehr er oder sie zu sich steht, umso „natürlicher“ ist die Ausstrahlung – und das ist allemal besser als „clean“.
Hannah Weißgerber, 10 a